Kündigungsfrist
Die Berechnung der Kündigungsfrist nach § 622 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verstößt gegen EU-Recht.
Am 19. Januar 2010 ist es zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gekommen, die erhebliche Konsequenzen für die Berechnung der Kündigungsfrist für Arbeitnehmer zur Folge hat. Das betrifft alle Arbeitnehmer, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres gekündigt werden oder bei denen die Beschäftigungsdauer vor dem vollendeten 25. Lebensjahr mit anzurechnen ist.
Dem Urteil des EuGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Arbeitnehmerin, die im Februar 1978 geboren wurde, war seit Juni 1996 bei einem Arbeitgeber tätig. Im Dezember 2006 erklärte ihr der vormalige Arbeitgeber unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kündigungsfrist die Kündigung zum 31. Januar 2007. Der Arbeitgeber berechnete dabei die Kündigungsfrist unter Zugrundelegung einer Beschäftigungsdauer von drei Jahren, obwohl die Arbeitnehmerin seit zehn Jahren bei ihm beschäftigt war. Diese Berechnung der Kündigungsfrist entsprach geltendem Recht im Sinne von § 622 Absatz 2 BGB. Die Arbeitnehmerin hat die Kündigung angefochten und eine viermonatige Kündigungsfrist begehrt. Diese Kündigungsfrist entspricht einer zehnjährigen Betriebszugehörigkeit.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Sache an den EuGH weitergegeben, um durch diesen die Unvereinbarkeit des § 622 BGB mit der EU-Richtlinie 2000/78 (Gleichbehandlung) bestätigen zu lassen.
In diesem Zusammenhang ist kaum bekannt, dass der historische Ursprung des § 622 BGB auf ein Gesetz aus dem Jahre 1926 zurückgeht. Die Festlegung der Schwelle von 25 Jahren war das Ergebnis eines Kompromisses. Die damalige Regierung wünschte eine einheitliche Verlängerung der Kündigungsfrist für Arbeitnehmer über 40 Jahren auf drei Monate. Auf der anderen Seite standen Befürworter einer stufenweisen Verlängerung der Kündigungsfrist ohne Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer. Das Ziel des damaligen Kompromisses war, die Arbeitgeber von den Belastungen durch die längeren Kündigungsfristen teilweise freizustellen, hier konkret betreffend die Personengruppe von Arbeitnehmern unter 25 Jahren.
Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetzt und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht. Dieses Recht wurde in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in verschiedenen UN-Übereinkommen und auch in der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkannt. Das Übereinkommen 111 der internationalen Arbeitsorganisation untersagt Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar.
Ungleichbehandlungen wegen des Alters können jedoch unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein.
Daher erfordern sie besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedsstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zwischen einer Ungleichbehandlung, die durch rechtmäßige Ziele gerechtfertigt ist und einer verbotenen Diskriminierung zu unterscheiden. Im Ergebnis hat der EuGH entschieden, dass Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers vor seinem 25. Lebensjahr bei der Berechnung der Kündigungsfrist berücksichtigt werden müssen.
Die europäische Richtlinie 2000/78 verdrängt in diesem Fall entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts die Beachtung des Verbots der Altersdiskriminierung sicherzustellen, unabhängig davon, ob es von seiner Befugnis Gebrauch macht, den EuGH im Wege der Vorabentscheidung um Auslegung dieses Verbots zu ersuchen.
Die Konsequenz daraus ist, dass wohl alle derzeit bei Gericht anhängigen Streitigkeiten zur Berechnung der Kündigungsfrist durch die Gerichte analog entschieden werden.
Sollten die Gerichte hingegen § 622 BGB anwenden, dürfte die jeweilige Klägerpartei gute Aussichten haben, in der Berufungsinstanz mit Hinweis auf die Entscheidung des EuGH ein positives Urteil zu erhalten. Aus dem Blickwinkel junger Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wird die Entscheidung des EuGH auf große Zustimmung treffen. Letztlich waren für junge Arbeitnehmer die nicht berücksichtigten Beschäftigungszeiten unter dem 25. Lebensjahr bei der Berechnung der Kündigungsfrist weder nachvollziehbar noch verständlich.
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