Schwierige medizinische Diagnose bei psychischen Beeinträchtigungen.
Die Zurechnung von Folgeschäden scheitert auch nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen.Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen (vgl. BGHZ 132, 341; BGH, VersR 2005, 945).
Zum Nachweis gesundheitlicher Beeinträchtigungen beim Geschädigten:
1. Das OLG Frankfurt am Main hat sich in einem Urteil vom 16.02.2017 (AZ: 15 U 109/12) mit dem Nachweis der Unfallbedingtheit psychischer Störungen des Geschädigten nach einem schweren Verkehrsunfall beschäftigt. Nach den ärztlichen Unterlagen erlitt der Geschädigte eine Prellung der linken Schulter, des linken Ellenbogens, des linken Handgelenks, des linken Knies und einer HWS-Distorsion 1. Grades. Außerdem befand sich der Geschädigte wegen einer Angststörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung in stationärer psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung.
Der Senat führt nach Einholung von Sachverständigengutachten aus, es komme nicht darauf an, dass nach den sachverständigen Feststellungen eine posttraumatische Belastungsstörung beim Geschädigten nicht vorliege. Dies sei für die Feststellung einer aufgrund des Unfallereignisses beim Geschädigten eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigung in Form einer generalisierten Angststörung und einer rezidivierenden depressiven Störung unerheblich, weil es auf die zutreffende medizinische Diagnose nicht ankomme.
Wesentlich sei, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Geschädigten unzweifelhaft gegeben seien. Außer dem Verkehrsunfall sei nichts anderes ersichtlich, was die generalisierte Angststörung beim Geschädigten ausgelöst haben könnte.
Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige lasse eine Erklärung für das Auftreten der psychischen Beeinträchtigungen des Geschädigten vermissen. Dass beim Geschädigten eine psychische Prädisposition vorgelegen haben kann, sei für die Haftung des Schädigers ebenso unerheblich, wie die über Jahre fehlgeleitete Therapie der den Geschädigten behandelnden Fachärzte. Ebenso sei unerheblich, dass das Krankheitsbild des Geschädigten von einer neurotischen Fehlverarbeitung und einem Begehren nach Entschädigung beeinflusst werde.
Der durch den Senat beauftragte Sachverständige hat eine „Begehrensneurose“ nicht bestätigt, weil sich die Frage, ob eine Erkrankung von dem wesentlichen Bestreben nach finanzieller Absicherung geprägt ist, nicht mit der notwendigen Sicherheit habe beantworten lassen. Dass eine gewisse Aggravationsneigung, die der Sachverständige beim Geschädigten festgestellt hat, ein Indiz für eine Begehrensneurose sein könnte, sei dem Sachverständigen nicht bekannt. Ein krankhaftes Begehren des Geschädigten nach Absicherung habe der Sachverständige deshalb nachvollziehbar nicht bestätigen können.
Im Ergebnis kommt der Senat deshalb zu dem Urteil, dass der Geschädigte in Folge des Verkehrsunfalls eine dauerhafte psychische Erkrankung erlitten hat, für die der Geschädigte ohne Rücksicht auf mitwirkende weitere Ursachen einzustehen hat.
2. Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main (aaO) macht deutlich, dass gerade im Bereich psychischer Erkrankungen verbunden mit einer entsprechend schwierigen medizinischen Diagnosesituation die Anforderungen an den vom Geschädigten zu führenden Nachweis nicht überspannt werden dürfen.
Hinsichtlich weiterer neben dem Unfallereignis mitwirkenden Ursachen für die psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen folgt der Senat der BGH-Rechtsprechung (BGH, NJW 2015, 2246; BGH, NJW 2012, 2964). Danach hat der haftungsrechtlich für eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung verantwortliche Schädiger grundsätzlich auch für Folgewirkungen einzustehen, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Für die eine Ersatzpflicht auslösende Folgewirkung des Unfallgeschehens ist erforderlich und ausreichend, dass die hinreichende Gewissheit besteht, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre.
Die Zurechnung von Folgeschäden scheitert auch nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte in Folge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen (vgl. BGHZ 132, 341; BGH, VersR 2005, 945).
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