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Fiktiver Schadensersatz II

Die höchstrichterliche Rechtsprechung versagt grundsätzlich eine fiktive Abrechnung für Körperschäden, da ein Verwendungsvorbehalt aufgestellt wird.

Dies ist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahre 1986, also lange vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Jahre 2002 und weiteren Reformen zurück zu führen. Mit seiner Entscheidung hat der BGH im Wege richterlicher Rechtsfortbildung klargestellt, dass für zwar notwendige, aber nicht versuchte Heilungsbehandlungsmaßnahmen kein Ersatz verlangt werden könne. Zur Begründung führt er aus, mit der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit solle kein Geschäft gemacht werden. Der Entschließung des Verletzten, sich einer ärztlichen Behandlung – etwa wegen der damit verbundenen Risiken oder des zweifelhaften Erfolges – nicht zu unterziehen, sondern mit der unbehandelten Verletzung weiter zu leben, beträfe beim Körperschaden im Gegensatz zum Sachschaden eine andere Ebene. Hierfür gewähre ihm das Gesetz eine Geldentschädigung in Form des Schmerzensgeldes. Dem entgegen sei der Sachschaden als Wertminderung im Vermögen des Geschädigten jedenfalls bei einer gedachten Bilanzierung immer vorhanden. Deswegen sei seine fiktive Abrechnung gerechtfertigt, um eben diese gedachte negative Bilanz auszugleichen.

Wenn der Verletzte jedoch die Behandlungskosten verlange, obwohl er die Behandlung nicht durchführen lassen wolle, so verlange er in Wahrheit eine Entschädigung für die fortdauernde Beeinträchtigung seiner Gesundheit. Eine derartige Kompensation billige die Rechtsordnung dem Verletzten gemäß § 253 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur unter den Voraussetzungen des § 847 BGB zu. Wenn man dem Verletzten die fiktiven Kosten einer nicht durchgeführten Heilbehandlung zuerkennen wolle, so würde dies zu einer Umgehung des § 253 BGB führen. In den Fällen, in denen die Voraussetzung des § 847 BGB für die Gewährung eines Schmerzensgeldes nicht vorlägen, würde der Verletzte ein ihm nach dem Gesetz nicht zustehendes Schmerzensgeld erhalten. In anderen Fällen würde er ein ihm nach § 847 BGB zustehendes Schmerzensgeld in einer im Gesetz nicht vorgesehenen Weise aufbessern können.

Diese Auffassung steht mit dem Wortlaut des Gesetzes ersichtlich nicht in Einklang und ist auch durch Auslegung nicht aus dem Gesetz heraus zu lesen.

Schließlich ergeben sich auch praktische Anwendungsprobleme weil offen bleibt, wann eine, wie der BGH sie fordert, „feste Behandlungsabsicht“ vorliegt. Selbst die ernsthafte Absicht rechtfertige allenfalls eine Vorschusszahlung für die Behandlung.

In Anbetracht der neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)zur richterlichen Rechtsfortbildung ist die Entscheidung des BGH (zumindest) heute nicht mehr haltbar. Zuletzt mit Kammerbeschluss vom 26. September 2011 hat das BVerfG die überragende Bedeutung der richterlichen Gesetzesbindung hervorgehoben. Die Gesetzesbindung sei aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbar. Richterliche Rechtsfortbildung dürfe nicht dazu führen, dass der Richter beziehungsweise das Gericht als Spruchkörper seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers stelle. Auch in Entscheidungen aus den Jahren 2009 und 2011 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass der Richter die gesetzgeberischen Grundentscheidungen respektieren und den Willen des Gesetzgebers möglichst zuverlässig zur Geltung bringen müsse.

Demnach gilt es zuvorderst festzustellen, welche Zielvorstellung der Gesetzgeber bei der Kodifizierung hatte. Dabei wird schnell klar, dass sich umfangreiche Ausführungen zur Frage der Ersatzfähigkeit fiktiver Körperschäden nicht finden. Geht man in der Gesetzgebungsgeschichte weit zurück, stößt man darauf, dass ein Geldanspruch als Restitutionsform – gleichgültig für welche Rechtsgüterbeschädigung - überhaupt nicht vorgesehen war. Der Grund, warum ein solcher dann jedoch in § 249 BGB eingeführt wurde, ist in der Erwägung der II. Kommission zu sehen, dass dem Geschädigten nicht zugemutet werden könne, seine Sache zum Zwecke der Reparatur dem Schädiger zu überlassen.

An eine fiktive Abrechnungsmöglichkeit, gleich ob für Sach- oder gar Körperschäden, hat der Gesetzgeber im seinerzeitigen Gesetzgebungsverfahren allerdings gar nicht gedacht.

Gleichwohl ergab sich eine Möglichkeit aus der Auslegung des Gesetzes, weil nach § 249 S. 2 BGB a.F. der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen – nicht aber den tatsächlich aufgewandten – Geldbetrag verlangen kann. In der jüngeren Vergangenheit beschäftigte sich der Bundestag im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften in Kenntnis der inzwischen ergangenen Rechtsprechung mit der Frage der fiktiven Abrechnung. Hierzu führt er aus:

„Für den Ersatz von Personenschäden oder Sachfolgeschäden (wie z.B. Sachverständigenkosten oder Kosten für die Anmietung einer Ersatzsache während der Dauer der Reparatur des Sachschadens), ist anerkannt, dass der Geschädigte den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag stets nur dann und insoweit verlangen kann, als er zur Herstellung des ursprünglichen Zustands auch tatsächlich angefallen ist. Hieran soll nichts geändert werden.“

Durch das Abstellen auf das, was anerkannt ist, macht sich der Gesetzgeber ohne weitere Erwägungen die Argumente des Bundesgerichtshofs aus seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1986 zu Eigen. Es wäre für den Gesetzgeber ein Leichtes gewesen, im Zuge der Reformierung des § 249 BGB durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 klarzustellen, dass und vor allem warum eine fiktive Abrechnungsmöglichkeit von Körperschäden nicht von § 249 II S.1 BGB umfasst sein soll. Dies hat er jedoch gerade nicht getan. Es wurde lediglich Satz 2 hinzugefügt, der die Erstattung der Umsatzsteuer bei Sachschäden nur bei einer tatsächlich durchgeführten Reparatur zuspricht.

Da die Gesetzesmaterialien letztlich also für die Frage, ob auch fiktive Körperschäden zu ersetzen sind, unergiebig sind, ist es notwendig, den Inhalt des § 249 BGB durch die hergebrachten und bewährten juristischen Auslegungsmethoden zu bestimmen. Dabei ist der Wortlaut Ausgangspunkt und gleichzeitig Grenze der Auslegung.

Co-Autor: Christian Konrad Hartwig

Erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift VersR 2012, S. 1364 ff.

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