Vorübergehende Senkung des "Mehrwertsteuersatzes" ab dem 1. Juli 2020
Sarah Maschek
Die Große Koalition hat am 3. Juni 2020 ein stolze 57 Maßnahmen umfassendes Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket verabschiedet, das die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie abfedern soll. Wir beleuchten die temporäre Absenkung des Umsatzsteuersatzes in der Praxis.
Neben Maßnahmen wie der Erweiterung des steuerlichen Verlustrücktrags, der zeitlich befristeten Wiedereinführung der degressiven AfA, der Verlängerung der Fälligkeit der Einfuhrumsatzsteuer um zehn Tage und einer Reform des Körperschaftsteuerrechts, um nur einige zu nennen, wurde eine vorübergehende Senkung des, wie es im Eckpunktepapier heißt, “Mehrwertsteuersatzes” beschlossen. Für den Zeitraum 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 soll der reguläre Umsatzsteuersatz (Regelsteuersatz) von 19 % auf 16 % gesenkt werden, der reduzierte Umsatzsteuersatz von 7 % auf 5 %.
Reduktion der Umsatzsteuersätze zur Stärkung der Binnennachfrage geeignet?
Erklärtes Ziel der Maßnahme ist die Stärkung der Binnennachfrage in Deutschland. Ob die Reduktion der Umsatzsteuersätze jedoch tatsächlich an die Endverbraucher weitergereicht wird, ist fraglich. Im Zuge der zum 1. Januar 2020 beschlossenen Absenkung der Umsatzsteuer auf Menstruationsprodukte hatten einige Hersteller zeitgleich zur Steuersenkung ihre Preise gegenüber dem Handel angehoben. Dieser Effekt könnte nun ebenfalls im Rahmen der vorübergehenden allgemeinen Senkung des Steuersatzes eintreten. In diesem Fall profitieren vom Konjunkturprogramm möglicherweise lediglich Unternehmen mit Endverbraucherkunden. Christian Odendahl, Chefökonom des Centre for European Reform, verweist mit Blick auf Großbritannien darauf, dass dort im Zeitraum 2008/2009 im Rahmen einer “temporary post crisis reduction” gute Erfahrungen mit einer anteiligen Weiterreichung der Steuersenkung gemacht wurden. Insgesamt kommen Studien zu den Weiterreichungseffekten von Steueranpassungen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Auch im Fall einer eintretenden Weitergabe der Steuersenkung an die Konsumenten bleibt abzuwarten, ob dies tatsächlich zu erhöhter Kauflaune führt, oder ob die Verbraucher angesichts pandemiebedingter Sorgen einfach nur ihre Sparquote erhöhen. Wer als Verbraucher derzeit ohnehin größere Investitionen plant, wird diese, wenn möglich, nun noch bis zum 1. Juli 2020 hinauszögern, somit hätte die Senkung der Umsatzsteuer zudem einen aufschiebenden Effekt.
Praktische Bedeutung im Vorfeld des Begünstigungszeitraums
Der Zeitrahmen für die Umsatzsteuersenkung ist ambitioniert gesetzt: Das zeitlich auf sechs Monate begrenzte Vorhaben muss nun vor dem 1. Juli 2020 noch das vollständige Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, Vordrucke müssen angepasst werden und IT-Systeme ebenfalls entsprechend umgestellt werden.
Nicht nur von Seiten der Steuerverwaltung bedeutet dieses einiges an Aufwand, auch für Unternehmen besteht dringender Handlungsbedarf. Darunter fallen die Umstellung von Kassen- und Warenwirtschaftssystemen, die Anpassung der unternehmensinternen und externen Finanzbuchhaltung sowie die Prüfung langfristiger Verträge, wenn diese zugleich als Rechnung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes dienen und die Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges erfüllen müssen.
Vorteilhaft können sich indes hinsichtlich Leistungserbringungen im Zusammenhang mit langfristigen Projekten Teilabnahmen (“Milestones”) im Begünstigungszeitraum auswirken.
Erhöhter Verwaltungsaufwand und rechtliche Fallstricke ab dem 1. Juli 2020
Zunächst ist zu beachten, dass für die Anwendung der neuen Steuersätze von 16 % bzw. 5 % gemäß der allgemeinen Übergangsvorschriften der Zeitpunkt der Erbringung der Lieferungen oder sonstigen Leistungen maßgeblich ist (s. § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG), unbeachtlich ist der Tag der Rechnungsstellung oder des Zahlungseingangs.
Praxisbeispiele: Anwendungszeitpunkt
An zwei Praxisbeispielen illustriert, bedeutet dies Folgendes:
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Erbringt ein Steuerberater eine Beratungsleistung am 30. Juni 2020 und stellt diese erst im Juli 2020 in Rechnung, sind in der Rechnung auf den Nettobetrag 19 % Umsatzsteuer, nicht 16 %, auszuweisen, da die Leistung noch unter derzeitiger Rechtslage erbracht wurde.
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Rechnet ein Steuerberater erst am Jahresende die über das gesamte Jahr 2020 erbrachten Beratungsleistungen ab, sind diese anteilig auszuweisen. Hiernach sind die in den Monaten Januar bis Juni 2020 erbrachten Leistungen mit 19 % (bisheriger Rechtslage) und die ab Juli bis Dezember 2020 erbrachten Leistungen mit 16 % (neue Rechtslage) auszuweisen.
Implikationen für Vorauszahlungs- und Anzahlungsrechnungen
Zum jetzigen Zeitpunkt gilt, mangels anderslautender Übergangsvorschriften, dass Vorauszahlungen und Anzahlungen, die vor dem 1. Juli 2020 in Rechnung gestellt wurden, ggf. im Zuge der Schlussrechnung zu korrigieren sind, wenn die tatsächliche Leistung im Zeitraum 01.07.2020 bis 31.12.2020 erfolgt. Anzahlungs- und Vorauszahlungsrechnungen, die in eben diesen Zeitraum fallen, müssen ebenfalls mit der Schlussrechnung korrigiert werden, wenn die tatsächliche Leistungserbringung nach dem 31.Dezember 2020 erfolgt.
Prüfung von Eingangsrechnungen
Ab dem 1. Juli 2020 sind Eingangsrechnung auf den Ausweis des korrekten Umsatzsteuersatzes für Zwecke des Vorsteuerabzugs zu prüfen. Ein Ausweis der bisherigen und somit zu hohen Umsatzsteuersätze führt zu fehlerhaft ausgewiesener Umsatzsteuer. Beim Empfänger kann die Vorsteuer nur in Höhe der korrekten 5 % bzw. 16 % geltend gemacht werden, der Rechnungsaussteller muss die fehlerhaft zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer trotzdem, als Steuerschuldner, in voller Höhe abführen oder die Rechnung korrigieren. Der Gesetzgeber spricht hierbei von einem “unrichtigen Steuerausweis” für den der ausstellende Unternehmer und regelmäßige Steuerschuldner ungeachtet dessen, dass er ihn nie vereinnahmt hat, haftet.
Prüfung langfristiger Verträge
Langfristige Verträge mit Umsatzsteuerausweis müssen für den Übergangszeitraum von 01.07. bis 31.12.2020 entsprechend angepasst werden. Hier gelten die vorgenannten Ausführungen zur fehlerhaft ausgewiesenen Umsatzsteuer entsprechend. Ggf. kann ergänzend dazu von der in § 29 UStG geregelten Ausgleichspflicht Gebrauch gemacht werden.
Exkurs: Behandlung von Gutscheinen am Beispiel Gastronomie
Für Unternehmen, die Gutscheine ausgegeben haben oder ausgeben, ist zunächst zwischen Einzweckgutscheinen und Mehrzweckgutscheinen zu unterscheiden. Während bei Einzweckgutscheinen bereits im Zeitpunkt der Ausstellung die genaue Zweckgebundenheit feststeht, d.h. alle notwendigen Informationen (Ort der Lieferung der Gegenstände bzw. der Erbringung der Dienstleistungen sowie die für diese geschuldete Steuer) bekannt sind, liegen diese Informationen bei Mehrzweckgutscheinen zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht vollständig vor.
Einzweckgutscheine
Als Ausgangsfall zur Illustration dient zunächst ein Gastronomiebetrieb, welcher lediglich in den eigenen Räumen bewirtet und keinen Außer-Haus-Verkauf anbietet. Die vor Ort servierten Getränke und Speisen sind einheitlich mit (derzeit noch) 19 % zu versteuern. Bei Gutscheinausstellung ist demnach nicht nur der Ort der Leistung, sondern auch der Steuersatz bekannt, es handelt sich folglich um einen Einzweckgutschein. Für diese gilt grundsätzlich das Ausstellungsdatum als maßgeblich für den anzuwendenden Umsatzsteuersatz. Wie das nachfolgende Praxisbeispiel aufzeigt, kann dieser scheinbar simple Grundsatz durch die Änderung der Umsatzsteuersätze zu paradoxen Ergebnissen führen.
Zu beachten ist, dass für Restaurants und Verpflegungsdienstleistungen zusätzliche umsatzsteuerliche Sonderregelungen für den Zeitraum 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021 geschaffen wurden. In diesem Zeitraum ist auf Speisen der ermäßigte Steuersatz, auf Getränke der reguläre Steuersatz anzuwenden. Der Umsatzsteuersatz für Speisen in Restaurants und Gaststätten beträgt hiernach 5 % bis zum 31. Dezember 2020. Im Zeitraum 1. Januar 2021 bis 30. Juni 2021 werden diese weiter ermäßigt – mit dann 7 % – besteuert. Ab dem 1. Juli 2021 wird der Umsatzsteuersatz für Speisen in Restaurants und Gaststätten voraussichtlich wieder auf 19 % angehoben, für Take-Away-Speisen fallen 7 % Umsatzsteuer an.
Für die Abgabe von Getränken hingegen fällt im Zeitraum 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 16 % Umsatzsteuer, im Zeitraum 1. Januar 2021 bis 30. Juni 2021 19 % Umsatzsteuer an – unabhängig davon, ob diese vor Ort verzehrt oder mitgenommen werden.
Praxisbeispiel Einzweckgutschein
Der zuvor genannte Gastronom (Unternehmer) stellt am 30. Juni 2020 einen Einzweckgutschein aus, der den Empfänger zum Verzehr von Speisen und Getränken in seinen Räumlichkeiten berechtigt.
Der Unternehmer ist hiernach verpflichtet, 19 % Umsatzsteuer auf den Nettowert des Gutscheins an den Fiskus abzuführen. Diese Verpflichtung besteht zunächst unabhängig von einem späteren Zeitpunkt der Einlösung, da das Ausstellungsdatum vor dem 1. Juli 2020 liegt und der Gesetzgeber bei Einzweckgutscheinen die Grundregel, der Steuerentstehung im Zeitpunkt der Ausstellung, für Einzweckgutscheine eingeführt hat.
Wird der im vorangegangenen Beispiel genannte Einzweckgutschein im Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 eingelöst und fällt die tatsächliche Leistungserbringung damit in den Zeitraum des abgesenkten Umsatzsteuersatzes (hier 16 % für Getränke bzw. 5 % für Speisen), so steht dem Unternehmer ein Erstattungsanspruch gegenüber der Finanzbehörde in Höhe des bereits zu viel abgeführten Umsatzsteuerbetrages zu. Sein Kunde, der Gutscheininhaber, hat indes einen Anspruch auf einen entsprechend höheren Nettowert der Leistung des Gastronoms.
Wird der Einzweckgutschein ab dem 1. Juli 2020 ausgestellt, sind analog zunächst 16 % bzw. 5 % Umsatzsteuer durch den Unternehmer auszuweisen und abzuführen. Etwaige spätere Korrekturen gegenüber dem Fiskus (zusätzliche Steuerbelastung) und dem Kunden als Leistungsempfänger (Leistungsreduzierung) wären dann bei Einlösung ab dem 1. Januar 2021 (nach Ablauf des “Begünstigungszeitraums”) grundsätzlich erforderlich.
Es ist davon auszugehen, dass ein solch formalistisches Vorgehen nicht im Sinne des vorgelegten Konjunkturprogramms ist und der Gesetzgeber hier mit Vereinfachungsregelungen nachbessern wird.
Mehrzweckgutschein
Bietet eben dieser Gastronom nun auch Außer-Haus-Verkauf an, fallen auf diese “To-Go-Speisen” derzeit nur 7 % Umsatzsteuer an, für die Bewirtung innerhalb der eigenen Gasträume weiterhin 19 %. Da bei Ausstellung des Gutscheins nicht bekannt ist, ob dieser für Bewirtung vor Ort oder für Außer-Haus-Verkäufe bzw. für den Verzehr oder die Mitnahme von Getränken eingelöst wird, handelt es sich um einen Mehrzweckgutschein. Dabei ist zu beachten, dass in diesem Fall ausschließlich der Leistungszeitpunkt für den anzuwendenden Umsatzsteuersatz maßgeblich ist. Bei der Ausstellung des Gutscheins wird noch keine Steuer fällig.
Praxisbeispiel Mehrzweckgutschein
Löst ein Gast nun am 30. Juni 2020 seinen Mehrzweckgutschein ein, wären bei Bewirtung vor Ort 19% Umsatzsteuer zu veranschlagen, entscheidet sich der Gutscheininhaber jedoch für Take-Away-Speisen, werden 7 % fällig. Für Getränke gilt unabhängig davon, ob dieser vor Ort verzehrt oder mitgenommen werden, der reguläre Steuersatz. Entscheidet sich der Gutscheininhaber am 30. Juni 2020 also für die Mitnahme von Getränken, werden 19 % Umsatzsteuer fällig.
Kehrt dieselbe Person nun einen Tag später, ergo am 1. Juli 2020, mit ihrem Gutschein zurück, entstünde sowohl bei Vor-Ort-Bewirtung als auch bei Außer-Haus-Verkauf von Speisen Umsatzsteuer nur noch in Höhe von 5 % (ermäßigter Steuersatz). Im Falle des Ausschanks oder der Mitnahme von Getränken entstünde Umsatzsteuer in Höhe von 16 % (regulärer Steuersatz).
Grundsätzliche Bevorzugung von Mehrzweckgutscheinen
In der Fachliteratur wird derzeit diskutiert, ob es aufgrund der Übergangslösung überhaupt noch Einzweckgutscheine geben kann oder ob Gutscheine, die sowohl vor, während als auch nach dem Übergangszeitraum eingelöst werden, nicht per se als Mehrzweckgutscheine zu betrachten sind, da der anzuwendende Steuersatz bei Ausstellung der Gutscheine nicht feststeht. Die alleinige Ausgabe von Mehrzweckgutscheinen dürfte im Zweifelsfall die derzeit unbürokratischste Vorgehensweise sein. Weitere praktikable Übergangslösungen und Vereinfachungsregelungen des Gesetzgebers bleiben abzuwarten.
Fazit
Das Konjunkturprogramm der Großen Koalition zielt darauf ab, “mit Wumms aus der Krise” zu kommen. Und so lässt man sich die Reduktion der Umsatzsteuersätze geschätzte 20 Mrd. Euro an Steuerausfällen kosten. Ob die Binnennachfrage sich als Reaktion auf diese Maßnahme wie gewünscht verhält, bleibt abzuwarten. Dass durch die befristeten Umstellungen zum 1. Juli 2020 sowie ab 1. Januar 2021 für Unternehmen ein erheblicher Verwaltungsaufwand mit rechtlichen Fallstricken entsteht, ist jedoch sicher. Inwieweit dieser durch Übergangsregelungen reduziert werden kann, bleibt abzuwarten. Erste Abhilfe Abhilfe könnte ein für Ende Juni 2020 anvisiertes Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen bringen.
Aktualisierung vom 30.06.2020
Das Bundesfinanzministerium hat hinsichtlich der befristeten Mehrwertsteuersekung am 30.06.2020 ein BMF-Schreiben veröffentlich, welches hier abrufbar ist.
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